Jahrgang 2017

Jahrgang 2017

perspektiven ds 1/2017
SPD neu erfinden? Über die Bundestagswahl hinaus

Der neue SPD-Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz hat alle überrascht und Anfang des Jahres die SPD auf einer emotionalen Welle der Zustimmung vorübergehend auf Augenhöhe mit der Union gebracht. Viele langjährige Selbstzweifel und Krisen sozialdemokratischer Identität schienen wie weggewischt.
Doch selbstverständlich kann der Schulz-Effekt, ein solch emotionaler Moment des Aufbruchs und der personellen Polarisierung gegen Merkel, nicht alles sein.
Fragen nach der SPD als Programmpartei – zur Bundestagswahl und darüber hinaus – wollen beantwortet werden. Wie weit muss sich die SPD, so unser provozierender Hefttitel, jetzt neu erfinden, wo ist Rückbesinnung auf Tradition und Grundwerte angebracht? Was heißt es bei allem Spektakel der Mediengesellschaft, an der Notwendigkeit analytischer Gesellschaftskritik festzuhalten? Kurzum: Worin bestehen eigentlich die nationalen, europäischen und globalen Identitätskerne einer sozialdemokratischen oder gar demokratisch-sozialistischen Politik im 21. Jahrhundert? Es geht um politische Alternativen zum Neoliberalismus und zur autoritären Regression, aber auch um das Spannungsfeld zwischen SPD-pur und dem Realismus begrenzter Möglichkeiten. Schließlich hatte der mobilisierende Mythos der Sozialdemokratie immer auch damit zu tun, Gesellschaft und Wirtschaft demokratisch zu gestalten und vielleicht sogar transformieren zu wollen.

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perspektiven ds 2/2017
Auf der Suche nach der verlorenen Sozialdemokratie

232 Seiten | 9,90 €

Auf der Suche nach der verlorenen Sozialdemokratie? Ganz so schlimm ist es hoffentlich nicht. Total verloren und verschwunden, das ist die SPD doch noch nicht. Sie wird sogar zur Mehrheitsbildung wieder gebraucht. Aber die Angst, dass sie mit der Union Angela Merkels von Mal zu Mal stärker in den Sog ihres Untergangs gerät, sitzt tief – und ist angesichts der Marginalisierung von Sozialdemokratien in anderen Ländern Europas alles andere als irrational. Auch wenn sich die SPD – «ergebnisoffen» (so der Berliner Parteitag 7.–9. 12. 2017) – staatspolitischer Verantwortung nicht entziehen will, auch wenn sie tatsächlich wieder einmal wichtige Essentials ihres Programms durchzusetzen vermag, weiß sie doch: Nach der tiefen Zäsur der Bundestagswahl 2017 kann es kein einfaches Weitermachen des «Business as usual» mehr geben!
Das schlechteste Ergebnis der SPD seit 1945 (20,5 %), mit der rechten AfD fast schon im Nacken (12,6 %) und in Ostdeutschland gar eine AfD mit 22,5 % deutlich vor der SPD (14,3 %), die SPD dort nur auf dem vierten Platz: welch eine Wahlkatastrophe! Bereits jetzt ist der SPD ihr Volksparteienstatus in vielen Regionen verloren gegangen. Werden die demokratischen Volksparteien auch in Deutschland durch einen neuen Typus populistischer «Bewegungsparteien» verdrängt: durch die Rechtsaußen-AfD, aber auch die neue Lindner-FDP, beides eher seilschaftsorientierte Protestparteien?
Auch wenn ihr aktives Personal mittlerweile überwiegend zur mobilen Elite, zu den Gewinnern der Globalisierung gehört, muss die SPD Themen wie den Anstieg der Kinderarmut, den Höchststand an Leiharbeit, die jährlichen Einkommensverluste der unteren 40 %, den Pflegenotstand, die Wohnungsnot, sinkende Renten usw. in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, sie darf sich nicht nur an den Aufsteigern einer imaginären «Mitte» orientieren, sondern muss sich gerade um die prekär Lebenden, die Nichtmobilen, die wenig Gebildeten und diejenigen, die sich im Stich gelassen fühlen, kümmern. Globalisierung, digitaler Kapitalismus und die kulturelle Wende ins Singuläre erfordern aufs Neue die Parteinahme für Arbeit, Zusammenhalt, Sicherheit und Gleichheit (was ohne aktualisierte Kapitalismuskritik kaum gehen wird).